Im Oktober 2011 ging das Braunschweigische Landvolk mit einer Aktion 'Stoppt Landfraß' in die Öffentlichkeit, bei der unter anderem den Naturschutzmaßnahmen die Schuld für den Rückgang von landwirtschaftlich genutzten Anbauflächen gegeben wurde. In einem Offenen Brief wenden sich nun die Wolfenbütteler Kreisgruppen von BUND und NABU gegen diese ungerechtfertigten Vorwürfe.
Wolfenbüttel, den 04.11.2011
Gemeinsame Entgegnung der Kreisgruppen Wolfenbüttel von Naturschutzbund (NABU) und Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) zur Kampagne “Stoppt Landfraß“ von Bauernverband und Landvolk
Mit einiger Verwunderung haben die
Vorstandsmitglieder der Kreisgruppen des NABU und BUND Anfang Oktober 2011 in der regionalen Presse von der Kampagne “Stoppt Landfraß“ des Bauernverbandes mit Unterstützung des Landvolkes
Braunschweiger Land und darin enthaltenen Äußerungen zum Thema “Ausgleichsflächen“ Kenntnis genommen. Einige in den Presseberichten enthaltene Aussagen können aus übereinstimmender Sicht der
Vorstände beider Naturschutzverbände nicht unkommentiert bleiben und bedürfen einer Richtigstellung:
1. Den Landverbrauch durch Bauprojekte kritisieren nun also auch die Landwirte – ein Thema, dass die Naturschutzverbände schon seit Jahrzehnten auf ihrer Agenda haben. Soweit es Bauprojekte betrifft, die zumindest kritisch zu bewerten sind, stimmen wir mit der Zielrichtung dieser Kampagne weitgehend überein. Herr Henties vom Landvolk geht allerdings einen falschen Weg, wenn er nun auch im Naturschutz einen vermeintlich Schuldigen für die in letzter Zeit immer weiter zunehmende Flächenkonkurrenz ausmacht.
2. Vielmehr steckt die Landwirtschaft in sich selbst in einem zunehmenden Konkurrenzkampf um Flächen. Die Bauernverbände und ihre Funktionäre haben ihre Mitglieder in den letzten Jahren selber
massiv in diese Richtung hin beraten – mit den überall unübersehbaren Folgen: Vermaisung der Landschaft, zu viele Biogasanlagen mit zu hohem Maisanteil, Errichtung von Tierfabriken, Umpflügen von
Acker- und Wegerainen, Umbruch von Grünland zu Acker … Die ehemals bäuerliche Landwirtschaft wird so immer mehr zur Agrarindustrie. Wollen das wirklich alle Landwirte? Das glauben wir
nicht!
3. Was also ist los im Braunschweiger Land? Werden alle Möglichkeiten zur Teilnahme an den Agrarumweltprogrammen der EU und des Vertragsnaturschutzes ausgeschöpft? Wo sind die
Landwirte, die Landschaftspflege gegen Entgelt als Dienstleistung an der Gesellschaft erbringen? Sind Flächenpools und Ökokonten unbekannte Größen bei den Funktionären des hiesigen Landvolkes? Es
kann kaum die Rede sein von “wahllos Ausgleichsflächen schaffen“ (Zitat aus dem “Schaufenster“ v. 02.10.2011) – vielmehr findet hier eine gründliche Fachplanung und Umsetzung statt.
4. Die in der Presse veröffentlichten Äußerungen erwecken den Eindruck, als würden landwirtschaftliche Flächen quasi “über Nacht“ verschwinden und anderen Nutzungen zugeführt werden. In den
allermeisten Fällen werden solche Flächen aber im oft langwierigen planerischen Vorfeld verkauft und nicht enteignet – wo ein Käufer ist, ist auch immer ein Verkäufer. Dies sind nicht selten
Landwirte selber, die davon zumindest finanziell keinen Schaden haben. Ein entschädigungsloses “Entnehmen von Flächen“ – wie im Pressebericht im Schaufenster vom 02.10.2011 beschrieben, gibt es
also nicht. Das Verhältnis zwischen Pächtern und Verpächtern hat mit dem Naturschutz ebenfalls nichts zu tun.
5. Die Hauptprobleme für den Naturschutz sehen wir allerdings in einer Ausrichtung von Bauernverband und Landvolk in Richtung „raus mit dem Naturschutz aus der Fläche“ und „weg mit
dem Zusammenhang von Raum und Funktionalität eines Eingriffausgleichs“. Diese Ausrichtung widerspricht grundlegend dem Ansatz des Naturschutzes in der Agrarlandschaft, wie ihn die Kreisgruppen
des NABU und BUND verstehen. Gerade in unserer weitestgehend agrarisch geprägten Landschaft im Braunschweiger Land braucht es ganz dringend eine (Wieder-)Zunahme von Randstreifen an Äckern, Wegen
und Gewässern, sowie Hecken und weiteren Strukturelementen zur Vernetzung der Lebensräume. Dazu zählen auch Ausgleichsflächen in der Nähe von Eingriffsorten – und nicht deren Konzentration
irgendwo weit weg, wo sie den örtlichen Eingriff in den Naturhaushalt eben nicht im räumlich-funktionalen Zusammenhang ausgleichen können
6. Gerade die zur Zeit diskutierten Änderungen der für 2013 geplanten EU-Agrarreform mehr in Richtung finanzieller Belohnung von multifunktionaler Landwirtschaft im Sinne von Landschaftspflege als Dienst an der Allgemeinheit sowie Schaffung von ökologischen Vorrangflächen (Stichwort “Greening“) zielen vom Grundsatz her ebenfalls in die entgegengesetzte Richtung als es die o.g. Kampagne in Bezug auf den Naturschutz vermittelt. Nicht ein “Raus aus der Fläche“ ist das Ziel dieser Reform, sondern genau das Gegenteil: Rein mit dem Naturschutz in die Fläche!
7. Eine unglückliche Verknüpfung sehen wir ferner in der Beteiligung des Geschäftsführers des Landschaftspflegeverbandes (LPV) Wolfenbüttel an dieser Kampagne, die dem Grundton nach den Naturschutz mit verantwortlich macht für den zunehmenden Konkurrenzkampf um Flächen. Hier besteht unseres Erachtens ein echter Zielkonflikt mit den Zielen des Landschaftspflegeverbandes, dem der Naturschutz auch zu einem Drittel angehört. NABU und BUND Wolfenbüttel möchten deshalb vom Geschäftsführer des LPV gerne wissen, wie er diesen Zielkonflikt in seiner künftigen Arbeit für den LPV überwinden möchte. Hierzu brauchen wir eine offene Diskussion innerhalb des LPV und über ihn hinaus mit der Gesellschaft.
Olaf Dalchow Horst Ehler Eckart Prause
BUND Kreisgruppe
NABU Kreisgruppe NABU Kreisgruppe
Wolfenbüttel
Wolfenbüttel Wolfenbüttel
1. Vorsitzender 1.
Vorsitzender 2. Vorsitzender